Die Automobilzulieferbranche in Deutschland steht derzeit unter erheblichem Druck: Steigende Rohstoff- und Energiekosten, eine zunehmend restriktive Kreditvergabe, die Transformation hin zur Elektromobilität sowie die anhaltend unsichere Auftragslage infolge umfassender Umstrukturierungen bei den großen Herstellern belasten insbesondere mittelständische Zulieferunternehmen massiv.
In dieser angespannten Lage stellt sich für Unternehmer und Entscheidungsträger in Zulieferbetrieben die existentielle Frage:
Wie kann das Unternehmen aus der Krise geführt werden, wenn akute Zahlungsunfähigkeit droht?
Eine zunehmend häufiger genutzte, jedoch nach wie vor von vielen Entscheidern mit Zurückhaltung betrachtete Möglichkeit ist das Instrument der Insolvenz in Eigenverwaltung.
Zweifellos stellt die Eigenverwaltung das letzte Mittel der Sanierung dar. Sie wird nur dann beantragt, wenn der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit unausweichlich ist. In dieser Situation jedoch erweist sie sich als äußerst wirkungsvolles Instrument, um ein Unternehmen zu entschulden und strukturell neu auszurichten – und es so wieder auf Erfolgskurs zu bringen.

Praxisfall: Erfolgreiche Sanierung eines mittelständischen Unternehmens
Ein mittelständischer Zulieferbetrieb, spezialisiert auf besonders langlebige Präzisionskomponenten für die Wehrtechnik und Luftfahrt, geriet infolge hoher Tilgungslasten, ruinöser Preisverhandlungen und massiv gestiegener Produktionskosten in erhebliche Liquiditätsschwierigkeiten. Trotz gut gefüllter Auftragsbücher fehlten zunehmend die Mittel, um den laufenden Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten. Das Unternehmen mit rund 80 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von ca. 25 Mio. Euro stand vor der Zahlungsunfähigkeit.
Um die Kontrolle über das Verfahren zu bewahren, entschied sich die Geschäftsleitung für die Einleitung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung – und damit gegen die Bestellung eines klassischen Insolvenzverwalters. Der beauftragte Sanierungsberater entwickelte einen Sanierungsplan: Der Sanierungsplan sah zunächst vor, alle unwirtschaftlichen Verträge fristlos zu beenden. Später im Verfahren verhandelte der Sanierungsberater die Lieferantenverträge neu und konnte bessere Konditionen für den Einkauf durchsetzen.
Durch die Einsparung von drei vollen Lohnrunden infolge des Insolvenzgeldes sowie den Wegfall sämtlicher Tilgungsverpflichtungen konnte die zur Fortführung des Geschäftsbetriebs erforderliche Liquidität kurzfristig wiederhergestellt werden. Parallel wurden neue Finanzierungsmöglichkeiten über sogenannte Massekredite erschlossen.
Das Ergebnis: Innerhalb von zwölf Monaten wurde der Betrieb vollständig entschuldet und in eine tragfähige, profitable Struktur überführt. Heute agiert das Unternehmen mit einer schlanken, zukunftsorientierten Organisation erfolgreich am Markt. Die Geschäftsbeziehungen zu den wichtigsten OEM-Kunden blieben dabei uneingeschränkt erhalten.
Dieser Fall steht exemplarisch für das Potenzial der Insolvenz in Eigenverwaltung – insbesondere in der Automobilzulieferbranche – als wirkungsvolles und verlässliches Instrument zur nachhaltigen Krisenbewältigung und unternehmerischen Neuaufstellung, vorausgesetzt, es wird rechtzeitig und strategisch klug gehandelt.
Doch was genau bedeutet das für Sie als Entscheider? Und wie können Sie dieses Instrument gezielt für Ihr eigenes Unternehmen nutzen?
Insolvenz in Eigenverwaltung – Was Entscheider unbedingt wissen müssen
Die Eigenverwaltung ist eine besondere Form des Insolvenzverfahrens, bei der die Geschäftsführung das Unternehmen weiterhin selbst führt – und zugleich das Insolvenzverfahren eigenständig umsetzt. Da den Geschäftsführern in der Regel das insolvenzrechtliche Fachwissen fehlt, wird ein Sanierungsberater hinzugezogen – etwa in meiner Person. Dieser ist ein erfahrener Insolvenzrechtsanwalt mit dem Schwerpunkt Unternehmenssanierung – jedoch kein Insolvenzverwalter.
Geschäftsführung und Sanierungsberater bilden gemeinsam das Sanierungsteam und führen das Unternehmen durch das Eigenverwaltungsverfahren. Weil insbesondere auch die Interessen der Gläubiger zu wahren sind, steht die Eigenverwaltung unter gerichtlicher Aufsicht. Das Insolvenzgericht bestellt zu diesem Zweck einen Sachwalter, der über umfassende Auskunftsrechte verfügt, sich jedoch nicht in das operative Geschäft einmischen darf.

1. Verliere ich als Unternehmer die Kontrolle?
Diese Frage wird von vielen Unternehmern mit großer Sorge gestellt – und das zu Recht. Die Antwort lautet jedoch: Nein, Sie behalten die Kontrolle. Als Geschäftsführer bleiben Sie weiterhin allein entscheidungsbefugt.
Allerdings sind Sie verpflichtet, das Verfahren „an den Interessen der Gläubiger auszurichten“, d. h. die Gläubiger sollen möglichst bestmöglich befriedigt werden. Daraus ergibt sich ein Spannungsfeld: Auf der einen Seite steht Ihr Ziel, das Unternehmen zu entschulden und zu erhalten. Auf der anderen Seite sind Sie gehalten, die Gläubigerinteressen zu wahren.
Wer diese Balance mit Umsicht gestaltet, verliert trotz dieser Verpflichtung nicht die unternehmerische Kontrolle – sondern nutzt das Verfahren gezielt zur Restrukturierung.
2. Wie reagieren Kunden und OEMs wie Mercedes, Airbus oder Diehl?
Gerade Automobilzulieferer befürchten, mit Bekanntwerden der Eigenverwaltung das Vertrauen ihrer Kunden – insbesondere der OEMs – zu verlieren. Meine Erfahrung zeigt jedoch ein anderes Bild: Die Kunden bleiben in der Regel an Bord – selbst in hochsensiblen Bereichen wie der Wehrtechnik.
Große Auftraggeber können die spezifischen Leistungen mittelständischer Zulieferer meist nicht kurzfristig ersetzen. Das eröffnet Ihrem Unternehmen die Chance, sich auch im Insolvenzverfahren als verlässlicher Partner zu beweisen.
Entscheidend ist eine offene, proaktive Kommunikation: Informieren Sie Ihre Kunden frühzeitig über den Verfahrensweg und halten Sie sie über wichtige Meilensteine auf dem Laufenden. So entsteht neue Planungssicherheit – ein Aspekt, der bei OEMs ausdrücklich positiv wahrgenommen wird.
3. Bleiben meine Lieferanten an Bord?
Auch bei den Lieferanten zeigt die Erfahrung, dass sie dem Unternehmen in der Regel treu bleiben – selbst dann, wenn sie zu Insolvenzgläubigern werden, weil Forderungen aus der Zeit vor Antragstellung ausfallen.
Zwar stellen viele Lieferanten auf Vorkasse um, was aber verkraftbar ist – insbesondere, da das Unternehmen in den ersten drei Monaten kaum laufende Kosten hat, weil die Löhne durch das Insolvenzgeld abgedeckt sind.
Bei größeren Beschaffungsvolumina können Treuhandlösungen sinnvoll sein: Der Auftraggeber hinterlegt eine Anzahlung bei mir als Treuhänder, die ich – nach Genehmigung durch den Auftraggeber – gezielt für den Materialeinkauf einsetze.
Eigentumsvorbehalte der Lieferanten werden transparent erfasst und abgerechnet. Besonders vertrauensbildend ist es, wenn dem Lieferanten bereits zu Beginn – auf Basis einer vorbereitenden Inventur – eine lückenlose Aufstellung seiner Warenbestände zur Verfügung gestellt werden kann.
4. Verliere ich die Produktionsmaschinen?
Produktionsmaschinen zählen regelmäßig zu den wichtigsten Vermögenswerten eines Zulieferbetriebs. Hier gilt es zu unterscheiden:
- Neue Maschinen sind häufig finanziert oder geleast.
- Ältere Maschinen sind abgeschrieben und Eigentum des Unternehmens.
Die gute Nachricht: Leasingverträge laufen weiter – sie können wegen des Insolvenzverfahrens nicht gekündigt werden. In der Praxis zeigen Leasinggeber auch kein Interesse an einer Kündigung, da der Rückbau technisch aufwendig und wirtschaftlich nachteilig wäre.
Finanzierte Maschinen bleiben in der Regel ebenfalls im Unternehmen. Zwar wird der Kreditvertrag regelmäßig gekündigt, doch ist eine Anschlussvereinbarung möglich. Meist wird vereinbart, dass das Unternehmen während des Insolvenzverfahrens die Maschinen weiterhin nutzt und dafür eine Nutzungsentschädigung in Höhe der bisherigen Raten zuzüglich Mehrwertsteuer zahlt. Nach erfolgreicher Sanierung wird ein neuer Finanzierungsvertrag geschlossen. Die Maschinen im Eigentum des Unternehmens verbleiben ohnehin im Betrieb.
Persönliche Haftung und Schutz des Managements
Geschäftsführer und Vorstände stellen sich häufig die berechtigte Frage, ob sie mit der Stellung des Insolvenzantrags persönlich haften.
Die Antwort lautet: Nein – weder mit der Antragstellung noch im weiteren Verlauf des Insolvenzverfahrens haften Sie persönlich für Handlungen, die im Rahmen der angeordneten Eigenverwaltung erfolgen. Das Verfahren ist von zahlreichen Kontrollmechanismen begleitet, insbesondere durch die Überwachung des Sachwalters und des Gerichts. Dies sorgt für rechtliche Sicherheit und reduziert das persönliche Haftungsrisiko der Geschäftsführung erheblich.
Wichtig ist jedoch: Für Handlungen VOR der Antragstellung kann eine persönliche Haftung durchaus bestehen. Der häufigste Haftungsgrund ist die verspätete Insolvenzantragstellung. Aus diesem Grund gilt mein ausdrücklicher Appell an Sie als Geschäftsführer oder Vorstand: Zögern Sie nicht zu lange. Kommen Sie rechtzeitig. Nur so vermeiden Sie den Vorwurf der Insolvenzverschleppung und die damit verbundenen zivil- und strafrechtlichen Risiken.
Für Unternehmensschulden haften Geschäftsführer oder Vorstände grundsätzlich nicht, mit zwei Ausnahmen:
- Steuerschulden
- Nicht abgeführte Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung
Diese Haftung bezieht sich allerdings nur auf Rückstände, die in den Monaten vor der Antragstellung entstanden sind. Für den Monat der Antragstellung gibt es für Steuerschulden eine Ausnahme von der persönlichen Haftung.
Ein weiterer Aspekt betrifft persönliche Haftungen gegenüber Banken. Viele Unternehmer haben für betriebliche Darlehen Bürgschaften oder Patronatserklärungen abgegeben. In der Eigenverwaltung zeigen sich Banken zunächst abwartend. In der Regel wird zunächst beobachtet, ob die Sanierung gelingt. Eine sofortige Vollstreckung gegen den Unternehmer erfolgt erfahrungsgemäß nicht.
In zahlreichen Fällen gelingt es – parallel zur Unternehmenssanierung – auch den Unternehmer persönlich zu entschulden. Sollte sich die Bank jedoch hartnäckig zeigen und weiterhin auf der vollständigen Inanspruchnahme aus der Bürgschaft bestehen, kann im Rahmen eines Insolvenzplans eine strategische Vermögensübertragung vorgenommen werden – etwa durch Übertragung der Gesellschaftsanteile auf die Ehefrau. Dadurch lassen sich häufig persönliche Belastungen vermeiden und der Weg in die private Entschuldung ebnen.
Auswirkungen auf Mitarbeiter und Produktion
Viele Unternehmer und Entscheider machen sich verständlicherweise Sorgen um ihre Mitarbeiter. In dieser Hinsicht bietet die Insolvenz in Eigenverwaltung jedoch erhebliche Vorteile.
Die Bundesagentur für Arbeit übernimmt im Rahmen des Insolvenzgeldes für die Dauer von bis zu drei Monaten die Löhne und Gehälter der Arbeitnehmer in voller Höhe. Diese finanzielle Sicherheit wirkt in der Belegschaft äußerst beruhigend und motiviert die Mitarbeiter, dem Unternehmen auch in der Krise treu zu bleiben und den Sanierungsprozess aktiv mitzutragen.
Gleichzeitig eröffnet das Eigenverwaltungsverfahren dem Sanierungsteam arbeitsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten, die im Regelbetrieb so nicht bestehen. So ist beispielsweise die Kündigungsfrist gesetzlich auf maximal drei Monate begrenzt. Auch die Abfindungszahlungen sind gedeckelt, was die Liquiditätsplanung erheblich erleichtert.
In der Praxis zeigt sich häufig, dass allein die Tatsache des eröffneten Insolvenzverfahrens ausreicht, um einzelne Mitarbeiter zum freiwilligen Austritt zu bewegen. Für erforderliche Massenentlassungen stehen zudem etablierte Instrumente zur Verfügung – etwa der Abschluss eines Sozialplans sowie, sofern ein Betriebsrat besteht, ein Interessenausgleich einschließlich der Möglichkeit zur Neuverhandlung bestehender Betriebsvereinbarungen.
Die Erfahrung zeigt, dass Mitarbeiter – anders als häufig befürchtet – bei einem Verfahren in Eigenverwaltung bereit sind, diese Phase mitzutragen, zumal sie den Unterschied zur Regelinsolvenz spüren. Selbst Neueinstellungen sind trotz laufendem Verfahren möglich, was die Handlungsfähigkeit des Unternehmens zusätzlich stärkt.
Die Produktionsfähigkeit des Unternehmens bleibt daher erhalten – die Eigenverwaltung gefährdet den laufenden Geschäftsbetrieb nicht, sondern stabilisiert ihn im Gegenteil häufig durch gezielte Maßnahmen und strukturierte Kommunikation mit der Belegschaft.

Strategische Sanierungsinstrumente speziell für Zulieferer
Gerade für Unternehmen der Automobilzulieferbranche bietet das Eigenverwaltungsverfahren eine Vielzahl strategischer Gestaltungsmöglichkeiten, die gezielt zur nachhaltigen Sanierung eingesetzt werden können:
Vertragsverhandlungen
Das Verfahren ermöglicht es, bestehende Verträge – insbesondere langfristige und unrentable Liefervereinbarungen – auf den Prüfstand zu stellen. Im Rahmen der Eigenverwaltung kann geprüft werden, ob einzelne Verträge neu verhandelt oder gegebenenfalls fristlos beendet werden sollten. Die rechtliche Grundlage hierfür bietet § 103 InsO: Ist ein Vertrag wirtschaftlich nicht tragfähig und soll er nicht fortgeführt werden, stellt das Unternehmen die Zahlung der laufenden Raten ein und erklärt zu gegebener Zeit die Nichterfüllung. Dieses Instrument ist besonders hilfreich, um sich schnell und rechtssicher von Belastungen zu befreien.
Optimierung von Lagerbestand und Working Capital
Ein weiterer Hebel liegt in der Bestandsoptimierung. Das Warenlager wird zu Beginn des Verfahrens inventarisiert, Eigentumsvorbehalte werden festgestellt und – soweit erforderlich – ordnungsgemäß abgerechnet. Nicht benötigte oder schwer drehbare Lagerartikel („Ladenhüter“) werden konsequent ausgesondert. Gleichzeitig kann durch eine Reduzierung der Lagerflächen zusätzlicher finanzieller Spielraum geschaffen werden – zumal Gewerbemietverträge mit dreimonatiger Frist kündbar sind.
Durchsetzung besserer Preise
Nicht selten befinden sich Auftraggeber – insbesondere große OEMs – in einer gewissen Abhängigkeit von Ihrem Unternehmen. Diese Konstellation bietet die Chance, bestehende Preisstrukturen kritisch zu hinterfragen. In der Praxis hat sich das taktische Vorgehen nach dem Muster „bad guy – good guy“ bewährt: Sie selbst bleiben in der Kommunikation bewusst im Hintergrund, während der Sanierungsberater und der Sachwalter gegenüber dem Kunden auf kostendeckende und angemessene Preise drängen. Diese Strategie wird erfahrungsgemäß von OEMs akzeptiert, sofern die Belieferung gesichert ist.
Schutzschirmverfahren oder Eigenverwaltung?
Bei frühzeitiger Antragstellung kann ein sogenanntes Schutzschirmverfahren unter Umständen vorteilhafter sein als ein klassisches Eigenverwaltungsverfahren. Voraussetzung hierfür ist, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung noch keine Insolvenzreife vorliegt – also weder Zahlungsunfähigkeit noch Überschuldung eingetreten ist. Dies muss durch die Bescheinigung eines unabhängigen Wirtschaftsprüfers nachgewiesen werden (§ 270d InsO).
Der große Vorteil des Schutzschirmverfahrens: Es besteht absolute Rechtssicherheit, dass dem Geschäftsführer kein Vorwurf der Insolvenzverschleppung gemacht werden kann. Der Nachteil: Die Einholung der Bescheinigung ist aufwendig, kostenintensiv und lohnt sich in der Regel nur für größere Unternehmen mit entsprechendem Finanzierungsrahmen.
Noch vorteilhafter ist das Restrukturierungsverfahren, das kein Insolvenzverfahren ist. Allerdings kann man im Restrukturierungsverfahren ausschließlich Finanzverbindlichkeiten kürzen, also keine Verträge kündigen.
Praktische Umsetzung – So läuft die Eigenverwaltung konkret ab
Ein Eigenverwaltungsverfahren verläuft in der Regel in mehreren klar definierten Phasen:
Zu Beginn steht die Antragstellung. Für den Antrag auf Eigenverwaltung wird ein spezieller Businessplan geschrieben, die so genannte Eigenverwaltungsplanung. Neben den klassichen Elementen eines Businessplans wie Beschreibung des Unternehmens, Krisenursachen, Finanzplanung enthält die Eigenverwaltungsplanung eine Raodmap, wie das Unternehmen bestmöglich saniert werden soll.
Nachdem das Insolvenzgericht einen Beschluss erlassen hat, folgt die Phase der vorläufigen Eigenverwaltung, die zwischen zwei und drei Monate dauert. In dieser Zeit erhalten die Mitarbeiter das Insolvenzgeld – die Löhne der Mitarbeiter werden zu 100 % von der Bundesagentur für Arbeit übernommen. Dadurch wird die Liquidität kurzfristig stabilisiert. Gleichzeitig beginnt das Sanierungsteam mit ersten operativen Maßnahmen zur Restrukturierung und kommuniziert das Verfahren gegenüber Kunden, Lieferanten und sonstigen Beteiligten.

Nach etwa drei Monaten eröffnet das Insolvenzgericht das Verfahren offiziell. Ab diesem Zeitpunkt spricht man von der „eröffneten Eigenverwaltung“. Nun werden die zuvor vorbereiteten Sanierungsmaßnahmen systematisch umgesetzt. Die Geschäftsführung bleibt weiterhin handlungsfähig und arbeitet eng mit dem Sanierungsberater und dem Sachwalter zusammen. Gleichzeitig kümmert der Sachwalter sich um die Gläubiger. Diesen wird Gelegenheit gegeben, sich an dem Verfahren zu beteiligen und ihre Forderung zur Insolvenztabelle anzumelden.
Sind die Sanierungsmaßnahmen durchgesetzt, wird das Verfahren abgeschlossen. Hierzu unterbreitet man den Gläubigern einen Insolvenzplan. Der Insolvenzplan ist so etwas wie ein Teilzahlungsvergleich. Er schlägt den Gläubigern eine Quote zur Abfindung ihrer Insolvenzforderungen vor und enthält eine fundierte Begründung, weswegen die Quote nicht höher sein kann. Über diesen Insolvenzplan stimmen die Gläubiger in einem gerichtlichen Abstimmungstermin ab. Stimmen sie für den Plan – was der Regelfall ist – sind alle Schulden erloschen.
Das Unternehmen zahlt die Quote aus und später die Verfahrenskosten. Danach ist das Verfahren abgeschlossen und das Gericht hebt das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung auf. Das Unternehmen ist entschuldet und neu ausgerichtet. Der Geschäftsbetrieb wird unter regulären Bedingungen fortgeführt.
Während des gesamten Verfahrens werden Sie durch einen erfahrenen Sanierungsberater begleitet, der das Verfahren strukturiert, Risiken frühzeitig erkennt und die operative Umsetzung der Sanierung unterstützt.
Finanzierung und Fortführung sichern
Eine häufig gestellte Frage in der Praxis lautet: Wie lässt sich die notwendige Liquidität während der Eigenverwaltung sicherstellen?
Die Antwort mag überraschen: In vielen Fällen sichert sich die Liquidität im Verfahren gewissermaßen von selbst. Durch den Wegfall der Tilgungsraten, die Einsparung von drei Lohnrunden (durch das Insolvenzgeld) sowie durch die Reduzierung laufender Kosten steht dem Unternehmen deutlich mehr Liquidität zur Verfügung. Nahezu alle Zahlungseingänge fließen dem Unternehmen unmittelbar zu, da nur wenige Ausgaben – etwa für tatsächlich verbrauchte Ressourcen, bewusst weitergeführte Verträge oder Verfahrenskosten – anfallen.
Darüber hinaus kann die Liquidität durch einen sogenannten Massekredit zusätzlich gestärkt werden. Dabei handelt es sich um einen besonderen Darlehensvertrag, der vom Insolvenzgericht als Masseverbindlichkeit anerkannt wird. Das bedeutet: Der Darlehensgeber erhält besondere rechtliche Sicherheit, da sein Darlehen vorrangig aus der Insolvenzmasse zurückgezahlt wird. Häufig wird ein solcher Massekredit vom Unternehmer selbst oder von einem interessierten Investor bereitgestellt, der sich – während oder nach dem Verfahren – am Unternehmen beteiligen möchte.
Die langfristige Fortführung des Unternehmens soll idealerweise durch eine strategische Neuausrichtung auf zukunftsfähige Geschäftsfelder gesichert werden. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass die zeitlichen und organisatorischen Ressourcen der Geschäftsführung im Verfahren oft vollständig durch den operativen Sanierungsprozess gebunden sind. Für strategische Weichenstellungen fehlt dann regelmäßig der Raum.
Mein Rat: Nehmen Sie sich – trotz der Belastung – die Zeit für strategische Überlegungen. Eine klare Vision für die Zeit nach dem Verfahren ist entscheidend für nachhaltigen Erfolg.
Die normalen Bordmittel zur Krisenbewältigung reichen nicht - Was nun?
Für viele Zulieferbetriebe kommt der Punkt, an dem die üblichen Maßnahmen zur Krisenbewältigung nicht mehr ausreichen. Ein solcher Moment wird spätestens dann erreicht, wenn das Unternehmen die nächste Lohnrunde für seine internen oder externen Mitarbeiter nicht mehr bezahlen kann. Ist die Zahlung der Löhne oder Sozialabgaben rückständig, gilt das Unternehmen als zahlungsunfähig im Sinne des Gesetzes – eine Situation, die einen Insolvenzantrag erfordert.
Wenn ein Personaldienstleister sein Unternehmen retten möchte, sollte er nicht das herkömmliche Insolvenzverfahren beantragen, sondern die Insolvenz in Eigenverwaltung.
Erfahrungen und Erfolgsgeschichten
Die Eigenverwaltung wurde vor rund 15 Jahren in das deutsche Insolvenzrecht eingeführt. Seitdem habe ich als Sanierungsberater mehrere Hundert Verfahren begleitet – und kann mit Überzeugung sagen: Die Eigenverwaltung ist ein äußerst sinnvolles Instrument, um ein von Zahlungsunfähigkeit bedrohtes Unternehmen vor der Zerschlagung zu bewahren.
In den Anfangsjahren scheiterten viele Verfahren an fehlender Erfahrung und mangelnder Struktur. Heute jedoch ist die Eigenverwaltung ein etabliertes und erprobtes Verfahren mit klaren Abläufen, einer zunehmend routinierten Rechtsprechung und einer Erfolgsquote von schätzungsweise 75 %.
Natürlich kann auch eine Insolvenz in Eigenverwaltung scheitern. Die häufigste Ursache liegt in einem dramatisch eingetrübten Marktumfeld: Wenn keine neuen Aufträge mehr generiert werden können, kommt es zur sogenannten „Insolvenz in der Insolvenz“ – das heißt, dem Unternehmen geht nach Abschluss der ersten Sanierung erneut das Geld aus.
Trotzdem gilt: Lassen Sie sich von diesem Restrisiko nicht entmutigen. Kein Unternehmer wählt die Insolvenz in Eigenverwaltung freiwillig. Aber wenn die Zahlungsunfähigkeit unmittelbar bevorsteht und Sie Ihr Unternehmen erhalten möchten, ist die Eigenverwaltung eine der besten Optionen, um genau das zu erreichen: die Entschuldung, die Stabilisierung und die Fortführung eines sanierungsfähigen Betriebs.
Fazit und Ihre nächsten Schritte
Die Insolvenz in Eigenverwaltung ist – insbesondere für mittelständische Automobilzulieferer – ein kraftvolles und zugleich rechtsstaatlich sicheres Instrument, um existenzielle Krisen zu bewältigen, das Unternehmen zu entschulden und die Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu sichern.
Der Schlüssel zum Erfolg liegt im rechtzeitigen Handeln. Wer frühzeitig die Initiative ergreift und den Sanierungsweg strukturiert beschreitet, schafft die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Neustart – ohne Kontrollverlust und mit dem Ziel, den Betrieb in eigener Hand fortzuführen.
Sie haben Fragen zur Eigenverwaltung oder möchten prüfen, ob dieses Verfahren für Ihr Unternehmen geeignet ist?
Gerne berate ich Sie persönlich – vertraulich, unverbindlich und mit klarem Blick auf die Chancen und Risiken Ihres individuellen Falls.
Rechtsanwalt Jörg Franzke Berlin
Anwalt für Insolvenzrecht, Spezialist für:
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