Dieser Beitrag erklärt die aktuelle Rechtslage und Funktionsweise der französischen Privatinsolvenz samt Restschuldbefreiung.

I. Entstehungsgeschichte

Das kurze „französische“ Insolvenzverfahren hat seinen Ursprung in der rechtlichen Sonderstellung der grenznahen ostfranzösischen Departements Haut Rhin (Strasbourg), Bas Rhin (Mulhouse) und Moselle (Metz).

Diese Departements gehörten bis 1918 zum Deutschen Reich mit Geltung der deutschen Gesetze. Nach der Annexion an Frankreich wurde die deutsche Gesetzgebung in diesen Departements teilweise beibehalten (= droit local alsacien – mosellan), wie zum Beispiel die deutsche Konkursordnung aus dem Jahre 1877.

Diese Überlagerung des französischen und deutschen Rechts führt zu einer Gesetzeslücke und damit zum Wegfall einer langjährigen Wohlverhaltensphase, bzw. macht in Frankreich ein Verbraucherinsolvenzverfahren überhaupt erst möglich.

In den Grenzdepartements gilt immer noch der in der deutschen Konkursordnung von 1877 verankerte Grundsatz, dass ein Unternehmenskonkurs auch auf natürliche Personen anwendbar ist. Weil eine Unternehmensinsolvenz aber grundsätzlich keine Wohlverhaltensphase kennt, entfällt diese auch für natürliche Personen. Der Schuldner ist also schon nach Abschluss des ca. einjährigen Insolvenzverfahrens schuldenfrei.

II. Das französische Insolvenzrecht im Überblick

Abgesehen von den Zugangsvoraussetzungen gelten gemäß Artikel 670-1 Code de Commerce die Bestimmungen der französischen Insolvenzordnung (jetzt Artikel 620-1 ff Code de Commerce – französisches Handelsgesetzbuch) auch für natürliche Personen. Folgende Verfahren sind vorgesehen:

1. Redressement et liquidation judiciaires (Sanierungs- und Insolvenzverfahren)

Gemäß Artikel L.620-2 Code de commerce sind die Verfahren zur Rettung (= procédure de sauvegarde) zur Sanierung (= procédure de redressement judiciaire) und zur Liquidation des Unternehmens (= procédure de liquidation judiciaire) anwendbar auf Kaufleute, Handwerker, Landwirte, Freiberufler sowie juristische Personen des Privatrechts.

Insolvenzgrund ist die cessation des paiements ( Artikel L.631-1 Code de commerce), das heißt die Unmöglichkeit, mit dem verfügbaren Aktivvermögen (= actif disponible) die fälligen Verbindlichkeiten (= passif exigible) zu begleichen.

Das Verfahren besteht aus zwei Teilen. In dem ersten Verfahrensteil (= redressement judiciaire) wird das insolvente Unternehmen für sechs Monate unter Beobachtung gestellt (= période d’observation). Das Insolvenzgericht bestellt einen Mandataire Judiciaire (=Gläubigervertreter) und einen administrateur (= Verwalter). Der Mandataire Judiciaire prüft die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens und der administrateur unterstützt die Geschäftsführung.

Gelingt die Sanierung, werden die Gläubiger aus den Sanierungsgewinn befriedigt. Andernfalls wird das Unternehmen liquidiert (Art. L 640-1 Code de commerce).

2. Faillite personnelle – Verfahren

Gemäß Artikel L.653-1 ff Code de commerce kann einem insolventen Gewerbetreibenden, Freiberufler oder Geschäftsführer eines insolventen Unternehmens die Ausübung jeder weiteren selbständigen Tätigkeit untersagt werden.

3. Comblement du passif – Verfahren

Gemäß Artikel L.651-2 Code de commerce darf das Insolvenzgericht zu Lasten des Geschäftsführers eines überschuldeten und insolventen Unternehmens die Durchgriffshaftung feststellen.

Dem Geschäftsführer wird dann per Urteil auferlegt, Schadensersatz an die Gläubiger zu leisten. Kann oder will er den Schadensersatz nicht leisten, eröffnet das Gericht ein Privatinsolvenzverfahren über das Vermögen des Geschäftsführers.

4. Surendettement – Verfahren

Entsprechend dem sogenannten „Neiertz – Gesetz“ vom 31.12.1989 können Verbraucher ein Surendettement – Verfahren (privates Entschuldungsverfahren) durchlaufen.

Ziel dieses Verfahrens ist allerdings nicht die Schuldbefreiung per Schuldenerlass. Sondern Ziel ist die Anpassung der Verbindlichkeiten an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Schuldners.

5. Rétablissement personnel – Verfahren

Dieses Verfahren entspricht der Privatinsolvenz (=Faillite civile) der Grenzdépartments Bas-Rhin, Haut-Rhin und Moselle und wurde im Jahr 2003 für ganz Frankreich eingeführt.

Allerdings besitzt der Schuldner keinen Rechtsanspruch auf dieses Entschuldungsverfahren. Vielmehr entscheidet der Insolvenzrichter, ob der Schuldner die Privatinsolvenz durchlaufen darf. Voraussetzung ist, dass der Schuldner alle Möglichkeiten der außergerichtlichen Schuldenbereinigung ausgeschöpft hat.

III. Sonderfall Faillite-civile – Verfahren der Departements Bas-Rhin, Haut-Rhin und Moselle

Das Faillite-civile ist das kurze Verbraucherinsolvenzverfahren der Departements Bas-Rhin, Haut-Rhin und Moselle, das den Leser ja wohl besonders interessieren wird:

Gemäß Artikel L.670-1 bis 670-8 Code de commerce i.V.m. Artikel 23 des Gesetzes vom 1. Juni 1924 dürfen natürliche Personen, die nicht Kaufleute, Handwerker, Landwirte oder Freiberufler sind, das Faillite civile – Verfahren durchlaufen.

Antragsberechtigt sind der Schuldner, die Staatsanwaltschaft, das Gericht sowie die Gläubiger.

Zuständig ist gemäß Art. L. 621-2 Code de commerce das Tribunal de Grande Instance, Chambre civile (= Landgericht) am Wohnsitz des Schuldners. Wegen der Zuständigkeit des Landgerichts benötigt der Schuldner eine anwaltliche Vertretung.

Ein außergerichtlicher Schuldenbereinigungsversuch ist nicht notwendig. Es müssen jedoch folgende Voraussetzungen vorliegen:

  1. Wohnsitz bzw. Lebensmittelpunkt im Gerichtsbezirk
  2. Notorische Zahlungsunfähigkeit (= insolvabilité notoire)
  3. Ehrlichkeit (= bonne foi).

Der Wohnsitz / Lebensmittelpunkt muss bei Antragstellung mindestens 6 Monate vorher bestanden haben. Dies ergibt sich aus Artikel 1, Abs. 2 der französischen Durchführungsverordnung vom 28.12.2005.

Gemäß Urteil vom 02.05.2006 (Eurofood ./. Parmalat C 341/04) hat der EuGH entschieden, dass der Lebensmittelpunkt nicht anhand nationaler Vorschriften zu entscheiden ist. Maßgeblich ist vielmehr der für Dritte erkennbare Ort, an dem der Schuldner gewöhnlich seine Interessen wahrnimmt und verwaltet.

Die notorische Zahlungsunfähigkeit liegt hingegen vor, bei einem nicht mehr rückgängig zu machenden Vermögensverfall und eine Besserung nicht zu erwarten ist.

Als dritte Voraussetzung muss der Antragsteller ehrlich sein und in gutem Treu und Glauben handeln. Es handelt sich hierbei um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der den Insolvenzgerichten eine erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt.

Bevor das Insolvenzgericht das Verfahren eröffnet, kann es eine „kompetente Person“ mit der Ermittlung der wirtschaftlichen und sozialen Situation des Schuldners beauftragen.

In der Regel wird diese Person ein Gerichtsvollzieher sein, der den Schuldner in seiner Wohnung besucht und dessen Vermögensverhältnisse genau ermittelt. Aber auch in Frankreich bestehen Pfändungsgrenzen, sodass dem Schuldner zumindest ein Teil seiner Einkünfte und Gegenstände zum bescheidenen Lebensbedarf verbleiben (Art. L. 145-1 ff Code du Travail, Art. L. 355-2 Code de Sécurité Sociale, Art. 31 des Gesetzes vom 01.12.1988).

IV. Rechtsstellung der Insolvenzgläubiger

Die Gläubiger werden gem. Art. 625-7ff, 643-1ff Code de commerce in folgender Reihenfolge befriedigt:

  1. Créances superprivilégiées (= Löhne und Gehälter)
  2. Frais de justice (= Verfahrenskosten)
  3. Apport en trésorerie (= Liquiditätszufuhr seitens Dritter),
  4. Créances nées après l’ouverture (= Rechtsgeschäfte nach Verfahrenseröffnung)
  5. Créances privilégiées (= Fiskus, Sozialkassen, Pfandgläubiger
  6. Créances hypothécaires (= Grundpfandrechtsgläubiger)
  7. Créances chirographaires (= einfache Insolvenzgläubiger)

Aussonderungsrechte bestehen bei wirksam vereinbartem Eigentumsvorbehalt (Art. 624-9 ff Code de commerce). Befindet sich die Ware in Frankreich, gilt französisches Recht. Sicherungseigentum ist dem französischen Recht fremd.

Ist eine Forderung mittels Bürgschaft gesichert, muss der Gläubiger seine Forderung unbedingt im Insolvenzverfahren anmelden, weil er andernfalls seine Forderung gegen den Bürgen verliert.

Während der sog. période suspecte, das heißt in der Zeit ab Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bis Verfahrenseröffnung, können Rechtsgeschäfte jeder Art angefochten werden oder sind ohnehin nichtig.

Die Anmeldefristen der Forderungen betragen 2 Monate und für ausländische Gläubiger 4 Monate ab Veröffentlichung der Verfahrenseröffnung (Art. 622-24 Code de commerce iVm Art. 97 und 99 des Décret vom 28.12.2005).

Die Veröffentlichung erfolgt im amtlichen Veröffentlichungsblatt „BODACC“ und einem lokalen Veröffentlichungsblatt.

Die Verfahrensdauer wird grundsätzlich im Eröffnungsurteil bestimmt (Art. 643-9 Code de commerce).

Der Insolvenzverwalters hat 2 Monate ab Aufnahme seiner Tätigkeit einen Vorschlag bzgl. der Anerkennung der angemeldeten Forderungen zu unterbreiten.

Mindestquoten sind nicht vorgesehen, die “einfachen” Insolvenzforderungen werden im Verhältnis ihrer Forderungen (= au marc le franc de leurs créances ) befriedigt.

Es liegen mittlerweile mindestens drei OLG-Entscheidungen vor, davon zwei der Cour d’Appel Metz von Anfang des Jahres 2007, mit denen die erstinstanzlichen die Insolvenzanträge deutscher Antragsteller abweisenden Urteile aufgehoben und die Insolvenzverfahren entweder direkt bzw. nach Zurückverweisung an das „Landgericht“ eröffnet worden sind.

Aus diesen Urteilen ergibt sich, dass fehlende französische Sprachkenntnisse und die Tatsache, dass alle Gläubiger deutsche Gläubiger sind und dass die Schulden in Deutschland entstanden sind, die Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht rechtfertigen.

V. Restschuldbefreiung

Grundsätzlich tritt mit Abschluss des Verfahrens die Restschuldbefreiung ein ( Art. 643-11 Code de commerce). Das heißt, nicht befriedigte Forderungen erlöschen zwar nicht, können aber nicht mehr geltend gemacht oder vollstreckt werden.

Von der Restschuldbefreiung ausgeschlossen sind:

  • Verurteilungen zu Geldleistungen aufgrund von Straftaten
  • Unterhaltsverpflichtungen
  • Rückgriffansprüche von Gesamtschuldnern oder Bürgen
  • betrügerische Handlungen (= fraude) des Schuldners gegenüber Gläubigern
  • Sekundärinsolvenzverfahren

Das Gericht kann ausnahmsweise dem Schuldner in Ansehung seiner finanziellen Möglichkeiten die Zahlung eines Beitrags zur Schuldentilgung für die Dauer von 2 Jahren höchstens auferlegen.

Bei Nichteinhaltung dieser “Auflage” steht es den Gläubigern frei, ihre Ansprüche individuell weiterzuverfolgen und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu ergreifen.

Die Eröffnung des Verfahrens wird für die Dauer von 8 Jahren in einem Verzeichnis über die Verbraucherinsolvenzen (Art. L.333-4 Code de la Consommation) festgehalten, allerdings nicht mehr im Zentralregister (= casier judiciaire).

Die Folgen der Restschuldbefreiung haben deutsche Gläubiger des Schuldners auch dann hinzunehmen, wenn dieser seinen Wohnsitz wieder nach Deutschland verlegen sollte (vgl. BGH, Beschluss vom 18.09.2001, in NJW 2002,960).

Auf Antrag des Insolvenzverwalters, der Staatsanwaltschaft oder Gläubiger kann jederzeit und zeitlich unbegrenzt die Wiederaufnahme des Verfahrens erfolgen, wenn während des Verfahrens vorhandene Aktiva des Schuldners nicht verwertet oder Verfahren im Interesse der Gläubiger nicht eingeleitet worden sind (Art. 643-13 Code de commerce).

VI. Gerichtskosten

Gerichtskosten entstehen grundsätzlich keine, allerdings sind Kosten für Veröffentlichungen und des Gerichtsvollziehers zu entrichten (Art. 663-1 – Code de commerce).

Die Kosten des administrateur und des mandataire judiciaire sowie des liquidateur judiciaire richten sich nach den Bestimmungen des Dekretes Nr. 85-1390 vom 27.12.1985, geändert durch Dekret Nr. 2006-1709 vom 23.12.2006.

Diese Personen haben Anspruch auf eine Pauschalvergütung in Höhe von 2.735,– € einschließlich gesetzlicher französischer Mehrwertsteuer nebst einem Betrag in Abhängigkeit von den geprüften Forderungen und den eingetriebenen Forderungen bzw. den realisierten Rechten.

Bei den Kosten des Anwaltes des Schuldners ist zu unterscheiden zwischen festsetzungsfähigen und nichtfestsetzungsfähigen Kosten. Nur für erstere gibt es eine Gebührenordnung. Für mittellose Schuldner besteht die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe.