Update zum Brexit vom 02.08.2017: Nach Rücksprache mit dem Insolvency Service am High Court of Justice in London wird sich der Brexit wenn überhaupt erst in einigen Jahren auf die EU-Insolvenz auswirken. Das heißt, die EU-Insolvenz in England bleibt bis auf weiteres möglich. Seit März 16 hat ein weiteres EU-Land das englische Verbraucherinsolvenzrecht 1 zu 1 übernommen, sodass auch dieses Land ab sofort für die schnelle Entschuldung zur Verfügung steht.
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I. Entstehungsgeschichte
Mit Beginn des 18. Jahrhundert setzte sich in England das heutige Verständnis der discharge (Entschuldung) durch, wonach der Schuldner sich unter bestimmten Umständen. als würdig erweisen konnte, eine Schuldbefreiung zu erlangen. Die wichtigsten Quellen der discharge bestehen aus dem Bankruptcy Act von 1914 und dem Insolvency. Act von 1976. Beide Gesetze wurden später von dem Insolvency Act von 1986 abgelöst.
Der Insolvency Act 1986 gilt in England und Wales. Schottland und Nordirland sind ausgenommen, obwohl sect. 440, 441 1A die Regeln des IA auch auf diese Regionen ausweitet.
Im Juli 2001 wurde im englischen Parlament ein Diskussionsentwurf zur Änderung des Insolvenzrechts eingereicht (= White Paper). Das White Paper enthielt wesentliche Änderungen zur Restschuldbefreiung. Die negativen sozialen Effekte einer Insolvenz sollten vermieden werden.
Ziel war eine verbesserte Wiedereingliederung von Schuldnern in das Wirtschaftsleben. Nach Auffassung der Autoren des White Paper hielt das herkömmliche Recht zu viele Personen davon ab, erneut unternehmerisch tätig zu werden, nachdem sie mit einem Unternehmen gescheitert waren. Dies sei gesamtwirtschaftlich nachteilig, weil ein gewisses Maß an risikobereitem Entrepreneurship die ökonomische Entwicklung in Gang halte. Wörtlich:
Our fresh start proposals for personal bankrupty are based on the recognition that honest failure is an inviatable part of dynamic market economy.
Zentrales Anliegen des White Paper war die Absenkung der Frist bis zur ersten Schuldbefreiung von drei Jahren auf zwölf Monate und bis zur zweiten Schuldbefreiung bereits nach fünf Jahren. Eine Ausnahme sollte nur für Schuldner gelten, die gegen ihre Obliegenheiten gem. Abschnitt IX des Insolvency Act 1986 verstoßen.
Zum Schutz des Wirtschaftsverkehrs sah das White Paper ein System von Beschränkungen während der Insolvenz natürlicher Personen vor. Danach konnte der Treuhänder bei Gericht sog. Bankruptcy restriction Orders beantragen, wenn dem Schuldner ein finanzielles Fehlverhalten vorzuwerfen war. Die Orders konnten eine Dauer von zwei bis 15 Jahren haben und orientieren sich an den Art. 6 bis 9 des Company Directors Disqualifcation Act 1986.
Gegen das White Paper regte sich vor allem im Hinblick auf die Entschuldungsphase erheblicher Widerstand: Während die Maßnahmen zur Verminderung des Stigmas der Insolvenz privater Personen begrüßt wurden, wurde die Herabsenkung der Entschuldungsphase sehr kritisch gesehen. Hauptsächlich wurde dagegen eingewendet, dass ein Schuldner bei einer derartig kurzen Frist bis zur discharge keinen Anreiz mehr sähe, seine Gläubiger vollständig zu befriedigen. Zudem wurde eine Amerikanisierung des Insolvenzrechts befürchtet.
Dennoch ist das White Paper im März 2004 in Kraft getreten. Der Enterprise Act versucht einen Kompromiss zwischen einer großzügigen Behandlung redlicher Schuldner, die „unverschuldet“ in die Insolvenz geraten sind und deshalb eine schnelle discharge erwarten dürfen und zwischen den unredlichen Schuldnern, deren Entschuldung mit gerichtlich angeordneten „Bankruptcy Restriction Orders“ eingeschränkt werden darf.
Die wichtigste Veränderung nach dem Enterprise Act 2002 betrifft die discharge Periode. Die discharge findet automatisch nach zwölf Monaten statt, wobei in der Mehrzahl der Fälle die discharge früher eintritt.
Der Anwendungsbereich der automatic discharge umfasst jetzt auch wiederholte Bankrotteure; nur „criminal bankrupts“ erhalten eine discharge nicht durch bloßen Zeitablauf.
Im Enterprise Act 2002 ist neu, dass der Official Receiver nicht mehr jeden Fall einzeln untersuchen muss, sondern nach seinem Ermessen einzelne Fälle heraussuchen kann.
Englisches insolvenzrecht verfolgt im Gegensatz zum kontinentaleuropäischen Insolvenzrecht schon immer eine doppelte Zielsetzung. Neben der Gesamtvollstreckung mit gleichmäßiger Gläubigerbefriedigung möchte das englische Insolvenzrecht den ehrlichen aber glücklosen Schuldner (honest but unfortunate) schützen und ihm einen fresh start ermöglichen. Die beiden Ziele sollen erreicht werden, mit der Aufteilung in ein gerichtliches Schuldbefreiungsverfahren und ein außergerichtliches Masseverwertungsverfahren. Weil die Verfahren voneinander unabhängig sind, kann das Masseverwertungsverfahren auch dann noch fortgesetzt werden, nachdem das Schuldbefreiungsverfahren bereits abgeschlossen ist.
Die Abweisung des Insolvenzverfahrens mangels Masse nur ausnahmsweise möglich, um den wirtschaftlichen Neubeginn des Schuldners nicht unnötig zu erschweren.
16 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Sehr geehrter Herr Franzke,
der Brexit soll ja offensichtlich im März 2019 erfolgen. Wenn man eine Privatinsolvenz in England plant, dann muss man ja vorab erstmal 6 Monate seinen Lebensmittelpunkt dort haben, bevor man die Insolvenz anmeldet.
Wie schätzen Sie das ein, wenn man z.B. erst Ende April 2019 die 12-Monats-Frist erreicht hat, wird die Restschuldbefreiung dann noch in Deutschalnd anerkannt? Weil England ja dann kein EU-Mitglied mehr ist…
Danke & viele Grüße
Karsten
Wie der Brexit sich auf die EU-Insolvenz sich auswirkt, weiß keiner genau. Ich gehe aber davon aus, dass alle bis dahin eröffneten Verfahren noch ordnungsgemäß abgeschlossen werden, schließlich gibt es ein Rückwirkungsverbot von neuen Gesetzen. Ende April wird man sicherlich nicht gleich die EUInsVO für unwirksam erklären, da gibt es sicherlich zunächst wichtigeres zu tun.
Sehr geehrter Herr Franzke, nachdem ich geheiratet habe bin ich zu meinem Mann nach England gezogen. Da ich vorher in Deutschland gearbeitet hatte, habe ich für max. 6 Monate Arbeitslosengeld erhalten. Leider habe ich bisher in England noch keine Arbeit gefunden und somit auch kein eigenes Einkommen mehr. In Deutschland habe ich Schulden an das Jobcenter und Bafögschulden, die sich zusammen auf ca. 24.000 € belaufen. Jetzt droht mir das Jobcenter mit Zinsen, wenn ich nicht wie gewohnt meine Schulden tilge, Da ich aber Null Einkommen habe ist mir diese Zahlung nicht möglich. Meine Fragen sind nun: Kann ich diese Art von Schulden als Insolvenz melden? Im Internet habe ich gelesen, dass es sich bei einem „geringen“ Wert wie 24.000 € nicht lohnen würde in England Insolvenz zu melden, da die Aufwandskosten zu hoch seien. Stimmt das? Mit was für Kosten und in welcher Höhe muss ich überhaupt rechnen? Kann ich ohne Anwalt das dafür vorgesehene Formblatt ausfüllen und direkt beim Gericht abgeben? Schonmal recht herzlichen Dank für Ihre Hilfe.
Sie können den Insolvenzantrag auch ohne Anwalt stellen, das ist kein Problem. Falls es sich bei den Schulden gegenüber dem Jobcenter um eine Überzahlung von Arbeitslosengeld handelt, wird sich das Jobcenter auf eine unerlaubte Handlung berufen. Diese Schulden werden zwar in England entschuldet- Aber in Deutschland wird in diesem Fall die Restschuldbefreiung nicht anerkannt.
Kann der Brexit Auswirkungen auf Discharges in 2014 haben?
Nein, das bleibt geltendes Recht.
Sehr geehrter Herr Franzke,
haben seit ca. 12 Jahren wegen Altschulden aus den Jahren vor dem Finanzgericht wegen der Aussetzung der Vollziehung gestritten, der Ursprungssteuerforderungsbetrag von ca. 250.000,- € ist durch die Zuschläge, die Zinsen inzwischen mehr als 1,0 Mio .
Ich bin zwar inzwischen Rentner, habe aber eine Firmenbeteiligung von 70 % und bin eingetragener Geschäftsführer- was aber abgegebnen werden könnte. Nun hat das Finanzamt eine Regelinsolvenz gegen mich beantragt. Mir wurde geraten selbst eine private insolvenz zu beantragen, um die Regelinsolvenz für 3 Monate aufzuschieben, um Zeit für Verhandlungen zur Schuldenbereinigung mit dem Finanzamt zu haben.
Obwohl, wie mir gesagt wurde, die Finanzämter mit einer Verordnung seit 2016 angehalten sind an einer Schuldenbereinigung mitzuwirken, traue ich denen nicht.
Wie sehen Sie den Weg mit einer englischen Insolvenz oder einer französischen.
Bin am 14/15.3.17 in Berlin.
Wüßte aber bereits eine grundsätzliche Meinung von Ihnen.
Viele Grüße
Meine Einschätzung dazu ist, dass das Finanzamt nicht mit sich verhandeln lässt. Nich mehr in diesem Verfahrensstadium. Sie sollten aber dennoch schnellstmöglich einen Insolvenzantrag stellen, weil Sie ohne keine Restschuldbefreiung erhalten werden. Insolvenz in England ist für Sie nicht mehr möglich.
Hallo Herr Franzke,
ich beschäftige mich mit dem Thema Insolvenz und ESUG Verfahren schon einige Jahre, da ich selbst betroffen war und findes es ist ein interessantes Thema. Ich hatte 2007 ein Regelinsolvenzverfahren durchlaufen und 2013 meine Restschuldbefreiung erhalten. Leider bin ich durch Zahlungsausfälle und Streit der Gesellschafter wieder in die Schuldenfalle getapt und bin nun in Geschäftführerhaftung genommen worden. Nach meinen Wissenstand kann ich erst 2023 wieder ein Insolvenzverfahren beantragen??? Gilt diese Sperrzeit auch für das EU-Insolvenzverfahren??? Wäre das Insolvenzverfahren in Spanien auch eine Alternative??? Ab 01.07.2014 gibt es ja wohl auch das Privat-ESUG Verfahren, ab welchen Betrag lohnt sich das und mit was für Kosten müsste ich da rechnen???
Vielen Dank
Michael
Die Sperrzeit bis zum nächsten Antrag wurde reduziert von 10 auf 5 Jahre. Bei einer Insolvenz in einem anderen Land gilt diese Sperrzeit nicht. Ein schuldnerfreundliches Insolvenzverfahren so wie in England ist mir in Spanien nicht bekannt. Ich meine, dass diese Alternative nur im Internet herumgeistert, tatsächlich nicht existiert. Aber ich weiß auch nicht alles.
Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt Franzke,
ich habe eine ernst gemeinte Frage zur England-Insolvenz: Wenn ich als Deutscher Staatsbuerger nach England gehe und dort einem Kloster beitrete, kann ich dann auch dort die Englische Insolvenz durchlaufen?
Vielen Dank fuer Ihre Antwort.
Herzlichst gruesst,
Ihr Anton B.
Natürlich können auch Mönche pleite gehen. Auch einem Klosterinsassen steht die Privatinsolvenz offen.
Sehr geehrter Herr Franzke,
ich denke über eine Insolvenz in England nach.
Es könnte aber sein, dass auch während der kurzen englischen Insolvenz meine Mutter verstirbt und dann erbe ich.
In Deutschland wäre es ja möglich, das Erbe auszuschlagen und es geht dann an meine Kinder.
Frage:
Wenn ich in der englischen Insolvenz bin und meinen COMI in England dazu habe,
kann ich dann trotzdem gleichfalls nach BGB mein Erbe ausschlagen und
es geht dann nicht an den englischen Insolvenzverwalter so wie in Deutschland , da mir ja keine Eigentum zufließt?
Vielen Dank für eine schnelles Feedback.
POtto Stern
Die Erbausschlagung richtet sich nach deutschen Recht, auch wenn Sie in England leben.
Hallo ,
bin verheiratet ,wir haben zwei gemeinsame Kinder(4und6) und jeweils ein Kinde das auch noch Unterhalt bekommt(Studium). Mein Einkommen liegt noch ca.10 Monate(Altersteilzeit) bei 3000€ dann werden es ca. 600€ weniger (Rente)
Es haben sich ca.70 000 Schulden (Kredite,Dispo) und ca.120000€ Hypothekenschulden für ein Reihenhaus (Vorfälligkeit ca 16000€ )
Miete ca 750 € plus Nebenkosten,unsere Kinder gehen auf eine
Montesori Schule ca.350 € und ich bin in einer priv Krankenversicherung ca.400 € aus der ich nicht herauskomme,
Meine Frau möchte sich nicht an der von mir angedachten priv. Insolvens beteidigen.
Wie kann ich am besten mit dieser Situation umgehen ,wäre auch bereit zB.nach England zu gehen.
Vielen Dank
Harry
Was wäre am
wenn Sie in die Insolvenz gehen, wird auch Ihre Frau in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Zumindest bei dem Haus haften Sie beide als Gesamtschuldner, d.h. jeder auf die volle Summe. Sie können Ihre Frau also nicht aus allem heraushalten. Trotzdem halte ich Ihre Entscheidung für richtig, eine Insolvenz zu beantragen.