Nach BGH IX ZB 51/10: „Nach Art. 102 EGInsO müssen vier Voraussetzungen für die Anerkennung von Insolvenzwirkungen gegeben sein: funktionelle Vergleichbarkeit des ausländischen Verfahrens mit dem deutschen; internationale Anerkennungszuständigkeit; Anspruch des fremden Verfahrens auf Auslandswirkung sowie Vereinbarkeit mit dem deutschen Ordre public.“ Dies ist bei den Insolvenzgesetzen in England oder Irland der Fall.

Funktionelle Vergleichbarkeit

Gemäß OLG Nürnberg, Beschl. v. 15. 12. 2011 − 1 U 2/11 gehen „die Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 davon aus, dass die Eröffnung der von ihr erfassten Gesamtverfahren in den Mitgliedstaaten grundsätzlich gleichwertig ist.“

Gemäß OLG Brandenburg: Urteil vom 25.05.2011 – 13 U 100/07 zählt „das Bankruptcy-Verfahren nach Part. IX section 264 ff Insolvency Act 1986 UK zu den Insolvenzverfahren i. S. d. EUInsVO. Welches Verfahren Insolvenzverfahren i. S. d. Verordnung ist, ergibt sich aus der Legaldefinition gemäß Art 2 Buchst. a EUInsVO i. V. m. dem Anhang A zur Verordnung, für Nichtmitgliedstaten aus einem Rückschluss aus den Kriterien des Art 1. Abs. 1 EUInsVO. Der Bankruptcy nach Part. IX Insolvency Act ist ausdrücklich in Anhang A als von der Verordnung erfasstes Insolvenzverfahren genannt.“

So auch Urteil VG Leipzig 13.09.11 6 K 86/082 „Diese Entschuldungswirkung der in England erteilten Restschuldbefreiung ist nach den Regelungen im Elften Teil der Insolvenzordnung über das Internationale Insolvenzrecht auch in Deutschland anzuerkennen. Gemäß § 343 InsO werden die Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens (Abs. 1) sowie die Entscheidungen, die zur Durchführung oder Beendigung des anerkannten Insolvenzverfahrens ergangen sind (Abs. 2), in Deutschland anerkannt. Damit wird die grundsätzliche Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren vorgeschrieben und eine ausländische hoheitliche Entscheidung im Inland für verbindlich erklärt. Diese grundsätzliche Anerkennung der englischen Restschuldbefreiung ist auch hier verbindlich.“

Nach Kindler in Münchener Kommentar zum BGB, VO (EG) 1346/2000 Art. 16 Grundsatz, 5. Auflage 2010 Rn 4 wird nach Art. 16 Abs. 1 Unterabs. 1 EuInsVO die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch ein nach Art. 3 EuInsVO zuständiges Gericht in den übrigen Staaten anerkannt, sobald die Entscheidung wirksam ist. Die Anerkennung erfordert zunächst, dass es sich um ein Insolvenzverfahren handelt. Was hierunter zu verstehen ist, ergibt sich aus der Legaldefinition des Art. 1 Abs. 1 iVm. Anhang A. In Anhang A ist das Bankruptcy-Verfahren nach Part. IX Insolvency Act ist ausdrücklich als von der Verordnung erfasstes Insolvenzverfahren genannt.“

Internationale Anerkennungszuständigkeit

Nach der grundlegenden Eurofood-Entscheidung des EUGG, NZG 2006, 633 besteht im Anwendungsbereich der EUInsVO ein für die Gerichte verbindliches Zuständigkeitssystem, welches vorsieht, dass die Mitgliedsstaaten zu Gunsten eines vereinfachten Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens auf die innerstaatliche Überprüfung der Zuständigkeit eines Insolvenzgerichts verzichten.

Diesem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens ist es inhärent, dass das Gericht eines Mitgliedstaats, bei dem ein Antrag auf Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens anhängig gemacht wird, seine Zuständigkeit im Hinblick auf Art. 3 I EuInsVO überprüft, das heißt untersucht, ob der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in diesem Mitgliedstaat hat.

Im Gegenzug hierzu verlangt der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, dass die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten die Entscheidung zur Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens anerkennen, ohne die vom ersten Gericht hinsichtlich seiner Zuständigkeit angestellte Beurteilung überprüfen zu können.

Wenn ein Gläubiger der Auffassung ist, dass der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in einem anderen Mitgliedstaat als dem hat, in dem das Hauptinsolvenzverfahren eröffnet worden ist, und deshalb die von dem Gericht, das dieses Verfahren eröffnet hat, angenommene Zuständigkeit anfechten möchte, so hat er bei den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem dieses Verfahren eröffnet worden ist, die im nationalen Recht dieses Mitgliedstaats vorgesehenen Rechtsbehelfe gegen die Eröffnungsentscheidung einzulegen.

Somit ist Art. 16 I Unterabs. 1 EuInsVO dahin auszulegen ist, dass das von einem Gericht eines Mitgliedstaats eröffnete Hauptinsolvenzverfahren von den Gerichten der übrigen Mitgliedstaaten anzuerkennen ist, ohne dass diese die Zuständigkeit des Gerichts des Eröffnungsstaats überprüfen können.

Gemäß Kindler in Münchener Kommentar zum BGB, VO (EG) 1346/2000 Art. 16 Grundsatz, 5. Auflage 2010 Rn 4ff: „Weitere Voraussetzung nach dem Wortlaut von Art. 16 Abs. 1 Satz 1 ist, dass der Eröffnungsbeschluss „durch ein nach Art. 3 zuständiges Gericht eines Mitgliedsstaates“ getroffen wurde. Das Gericht des Mitgliedsstaates muss nach Art. 3 der Verordnung zuständig sein. Hieraus wird zu recht jedoch nicht hergeleitet, dass Voraussetzung für die Anwendung von Art. 16 ist, dass das Gericht des Erststaates zutreffender Weise seine Zuständigkeit nach Art. 3 bejaht hat. Vielmehr ist die Entscheidungszuständigkeit des Erstgerichts im Rahmen des Art. 16 nicht mehr zu überprüfen. Auch der Erwägungsgrund Nr. 22 schreibt ausdrücklich vor, dass die Eröffnungszuständigkeit des zuerst eröffnenden Gerichts durch das zeitlich nachfolgende Gericht ohne Überprüfung auf die Richtigkeit der zuerst getroffenen Entscheidung zu berücksichtigen ist. Dies entspricht auch dem favor recognitionis, der sich auch in der EuGVVO, aber auch in Art. 25 der Verordnung selbst wieder findet und eine Überprüfung sowohl der Zuständigkeit als auch des Inhalts der Entscheidung des Erstgerichts ausschließt. Allerdings ist Voraussetzung, dass das Gericht seine Zuständigkeit auf Grundlage der Verordnung angenommen hat und nicht etwa auf Grundlage autonomer Vorschriften. Nicht zuletzt deshalb hat es seine Berechtigung, dass das Insolvenzgericht im Eröffnungsbeschuss ausdrücklich die Zuständigkeitsgrundlage für den Beschluss angeben sollte.

Hierzu unterstützend: OLG Nürnberg, Beschl. v. 15. 12. 2011 − 1 U 2/11: „Bei Art. 16 EuInsVO ist die Entscheidungszuständigkeit des eröffnenden Gerichts nicht zu überprüfen, wenn es eine Zuständigkeit auf Grund der EuInsVO angenommen hat.“

Gemäß OLG Brandenburg: Urteil vom 25.05.2011 – 13 U 100/07 folgt die internationale Zuständigkeit der englischen Gerichte aus Art. 3 EUInsVO i. V. m. Part. IX Chapter I section 265 Abs. 3 IA. Nach Art. 3 Abs. 1 EUInsVO sind für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Gerichte des Mitgliedsstaates zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seines hauptsächlichen Interesses hat.

Gleiche Auffassung schließlich BGH IX ZB 51/10: „Wenn das französische Konkursgericht sich nach alledem für örtlich zuständig hielt, ist dessen Entscheidung mit dieser Tragweite auch aus deutscher Sicht hinzunehmen. Insbesondere ist im Rahmen der Prüfung allein der Zuständigkeit ausländischer Insolvenzgerichte (vgl. Art. 102 Abs. 1 Nr. 1 EGInsO) grundsätzlich nicht danach zu forschen, ob die ausländische Rechtsordnung Vorkehrungen gegen die rechtsmißbräuchliche Erschleichung eines Gerichtsstandes im Einzelfall davon keinen Gebrauch gemacht hat. Es genügt in diesem Zusammenhang, daß die Sachlage für den Regelfall die internationale Zuständigkeit des ausländischen Insolvenzgerichts (entsprechend § 71 KO/§ 3 InsO) ergibt.

Kindler in Münchener Kommentar zum BGB, VO (EG) 1346/2000 Art. 16 Grundsatz, 5. Auflage 2010  Rn 4 ff. besteht keine zweitstaatliche Überprüfungsmöglichkeit. „Entgegen dem Wortlaut des Art. 16 Abs. 1 Unterabs. 1 EuInsVO, der die Anerkennung von Insolvenzeröffnungsentscheidungen „durch ein nach Art. 3 zuständiges Gericht eines Mitgliedstaates“ vorschreibt, gibt es keine zweitstaatliche Überprüfungsmöglichkeit. Deutsche Gerichte haben zeitlich vorausgehende Insolvenzeröffnungsentscheidungen aus anderen EuInsVO-Staaten zu achten.

Kein Ordre Public Verstoß

Gemäß Eurofood-Entscheidung des EUGG, NZG 2006, 633 sieht Art. 26 EntsVO vor, dass ein Mitgliedstaat sich weigern kann, ein in einem anderen Mitgliedstaat eröffnetes Insolvenzverfahren anzuerkennen, soweit diese Anerkennung zu einem Ergebnis führt, das offensichtlich mit seiner öffentlichen Ordnung, insbesondere mit den Grundprinzipien oder den verfassungsmäßig garantierten Rechten und Freiheiten des Einzelnen, unvereinbar ist.

Im Zusammenhang mit dem Brüsseler Übereinkommen hat der EuGH entschieden, dass die Ordre-Public-Klausel in Art. 27 Nr. 1 dieses Übereinkommens nur in Ausnahmefällen einschlägig sein kann. Eine Anwendung dieser Klausel kommt nur dann in Betracht, wenn die Anerkennung der in einem anderen Vertragsstaat erlassenen Entscheidung gegen einen wesentlichen Rechtsgrundsatz verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats stünde. Bei dem Verstoß muss es sich um eine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts handeln.

So auch BGH IX ZB 51/00: Die deutsche öffentliche Ordnung ist nur verletzt, wenn das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, daß es nach inländischen Vorstellungen untragbar erscheint. Eine bestimmte Mindestquote als Ergebnis einer konkursmäßigen Befriedigung setzt das deutsche Recht nicht voraus (vgl. BGHZ 134, 79, 91 f). Hier hat sich inzwischen die Ansicht durchgesetzt, daß in der Verbraucherinsolvenz sogar „Nullpläne“ zulässig sind. Seit Einführung der Möglichkeit zur Restschuldbefreiung für alle natürlichen Personen (§§ 286 ff, 304 ff InsO) ab 1. Januar 1999 auch in Deutschland mag es schon allgemein zweifelhaft sein, ob die Wohnsitzverlegung in einen anderen Staat zu dem Zweck, unter erleichterten Bedingungen von Schulden befreit zu werden, rechtsmißbräuchlich ist. Die Darlegungslast für einen Verstoß gegen die deutsche öffentliche Ordnung obliegt den widersprechenden Gläubigern.

OLG Brandenburg: Urteil vom 25.05.2011 – 13 U 100/07: Nach ständiger, auch im Rahmen des EUGVÜ bestätigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist ein Versagungsgrund aufgrund des verfahrensrechtlichen ordre public nur dann anzunehmen, wenn die Entscheidung des ausländischen Gerichts aufgrund eines Verfahrens ergangen ist, das von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maße abweicht, dass das Verfahren nach der deutschen Rechtsordnung nicht als in einem geordneten rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann.

Im Übrigen enthalten die maßgeblichen Vorschriften zum Bankruptcy Act 1986 keine besonderen Verfahrensregeln, deren Verletzung einen Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre-public begründen könnte. Die Klägerin hat den nach Part. IX Chapter I section 272 IA vorgesehenen Antrag als Schuldnerin gestellt; das Gericht hat auf der Grundlage der für die Beantragung einer Privatinsolvenz (Bankruptcy) enthaltenen Angaben in dem dafür vorgesehenen Antragsformular den Eröffnungsbeschluss erlassen. Diese Vorgehensweise entspricht dem vorgesehenen Verfahren nach Part. IX Chapter I section 264 ff IA. Die Vorschriften sehen in Part. IX Chapter I section 271 IA lediglich für einen von einem Gläubiger, nicht hingegen für den vom Schuldner selbst gestellten Eröffnungsantrag – von den in Part. IX Chapter I section 265 IA genannten Zuständigkeiten abgesehen – keine besonderen Verfahrensregeln vor. Zwar steht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Ermessen des Gerichts (Part. IX Chapter I section 274 Abs. 2 IA).

So auch OLG Nürnberg, Beschl. v. 15. 12. 2011 − 1 U 2/11: Selbst wenn das englische Gericht die Voraussetzungen seiner Zuständigkeit nur unzureichend geprüft haben sollte, hat dies nicht zur Folge, dass die Anerkennung der Insolvenzeröffnung mit Grundprinzipien der deutschen Rechtsordnung offensichtlich unvereinbar wäre.

Urteil VG Leipzig 13.09.11 6 K 86/08: Ein Verstoß gegen die deutsche öffentliche Ordnung (sog. ordre public) ist nicht gegeben. Die Anerkennung eines ausländischen Insolvenzverfahrens und darin ergehender Entscheidungen darf danach nicht zu einem Ergebnis führen, das mit den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, insbesondere mit den Grundrechten offensichtlich unvereinbar ist (Art. 26 EuInsVO).

Allein unter dem Gesichtspunkt, dass nach englischem Recht eine deutlich schnellere Restschuldbefreiung (nämlich automatisch nach 12 Monaten, ggf. auch eher) zu erreichen ist, kann ein Verstoß gegen die ordre-public-Klausel nicht angenommen werden. Die deutsche öffentliche Ordnung ist nur verletzt, wenn das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es nach inländischen Vorstellungen untragbar erscheint (BGH, Beschl. v. 18.9.2001 – IX ZB 51/00 -zit nach juris). Davon kann allein wegen der kürzeren Dauer der Wohlverhaltensphase nicht ausgegangen werden.

Ehricke in Münchener Kommentar Insolvenzordnung, Vorbemerkungen vor §§ 286 bis 303, 2. Auflage 2008, Rn 82ff: Nach Art. 26 EuInsVO kann ein Mitgliedstaat die Anerkennung verweigern, soweit sie zu dem Ergebnis führt, dass sie offensichtlich mit den Grundprinzipien oder den verfassungsmäßig genannten Rechten und Freiheiten des Einzelnen unvereinbar wäre. Die ordre public-Klausel ist eng auszulegen. Nicht Gegenstand der ordre public-Prüfung sind solche Erscheinungen und Anerkennungsfolgen, die von der EuInsVO gerade beabsichtigt sind, denn durch den ordre public-Vorbehalt dürfen nicht die Wertentscheidungen der Verordnung unterlaufen werden. Auch liegt kein Verstoß gegen den ordre public vor, wenn die internationale Zuständigkeit der Gerichte des Staates der Verfahrenseröffnung nicht gegeben war, denn die compétence indirecte ist keine Anerkennungsvoraussetzung. Ferner lässt sich Art. 25 Abs. 3 EuInsVO nicht analog mit der Folge anwenden, dass bei einer Einschränkung der persönlichen Freiheit oder des Postgeheimnisses ein Verstoß gegen den ordre public vorläge. In diesem Zusammenhang bedeutsam sind vielmehr Verstöße gegen wichtige Verfahrensgarantien wie das rechtliche Gehör und das Recht auf Beteiligung. Der maßgebliche Zeitpunkt für das Vorliegen des Verstoßes ist der Zeitpunkt der Anerkennung der Entscheidung im Inland.

Rechtsfolge

Ehricke in Münchener Kommentar Insolvenzordnung, Vorbemerkungen vor §§ 286 bis 303, 2. Auflage 2008, Rn 82ff Als Rechtsfolge normiert Art. 16 Abs. 1 S. 1 EuInsVO die Anerkennung der ausländischen Insolvenzverfahrenseröffnungsentscheidung. Sie erfolgt unmittelbar kraft Gesetzes, ohne Exequaturverfahren und sonstige Überprüfung und zeitgleich mit Wirksamwerden der Eröffnung. Die Wirkungserstreckung erfolgt grundsätzlich im gesamten räumlichen Anwendungsbereich der EuInsVO.

Urteil VG Leipzig 13.09.11 6 K 86/08 Die in in England erteilte Restschuldbefreiung hat gegenüber de Gläubigern schuldbefreiende Wirkung. Gemäß § 335 InsO unterliegt das Insolvenzverfahren von der Eröffnung bis zur Beendigung dem Recht des Staates, in dem das Verfahren eröffnet worden ist (sog. lex fori concursus). Demnach bestimmt sich die Wirkung einer im Ausland erteilten Restschuldbefreiung nach dem Recht des Staats, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde.

Nach dem englischen Recht wird der Schuldner durch die Restschuldbefreiung grundsätzlich von allen Forderungen befreit, denen er zum Zeitpunkt des Erlasses des Insolvenzeröffnungsbeschlusses (bankruptcy order) ausgesetzt war (vgl. Sektion 281 Abs. 1, Sektion 282 Abs. 1 Insolvency Act 1986). Dies gilt für alle Schulden, die bis zu diesem Zeitpunkt rechtlich entstanden sind, unabhängig von ihrer Fälligkeit und unabhängig davon, ob die Forderungen angemeldet worden sind. Im Unterschied zum deutschen Insolvenzrecht (§ 301 InsO), wo eine Restschuldbefreiung zur Entstehung einer unvollkommenen Verbindlichkeit führt, die weiterhin freiwillig erfüllbar, aber nicht erzwingbar ist (BGH, Beschl. v. 25.9.2008 – IX ZB 205/06 – zit. nach juris), gehen Verbindlichkeiten nach englischem Insolvenzrecht endgültig unter (vgl. Sektion 281 Abs. 1, Sektion 282 Abs. 1 Insolvency Act 1986).

Diese Entschuldungswirkung der in England erteilten Restschuldbefreiung ist nach den Regelungen im Elften Teil der Insolvenzordnung über das Internationale Insolvenzrecht auch in Deutschland anzuerkennen. Gemäß § 343 InsO werden die Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens (Abs. 1) sowie die Entscheidungen, die zur Durchführung oder Beendigung des anerkannten Insolvenzverfahrens ergangen sind (Abs. 2), in Deutschland anerkannt. Damit wird die grundsätzliche Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren vorgeschrieben und eine ausländische hoheitliche Entscheidung im Inland für verbindlich erklärt. Diese grundsätzliche Anerkennung der englischen Restschuldbefreiung ist auch hier verbindlich.

Urteile und Verfügungen zur Anerkennung:

BGH-IX-ZB-51-00
LG-Stuttgart-25-O-470/11
AG-Frankfurt-23-C-918/12
OLG-Nu776rnberg-1-U-2/11
OLG-Brandenburg-13-U-100/07
Kammergericht-12-U-50/11
LG Berlin 19 O 687 12
LG Berlin 55 S 144/11 WEG
VG Leipzig 6 K 86/08
LG Berlin 19 O 687/12

Grundsatzentscheidung des High Court of Justice

EU-Bürger dürfen ihren Wohnsitz (=centre of main interest oder COMI) beliebig verlegen. Für die Zuständigkeit des Gerichts kommte es darauf an, wann der Insolvenzantrag gestellt bzw. das Verfahren eröffnet wird. Es ist nicht erforderlich, eine Zeitspanne zwischen Wohnortwechsel und Antrag einzuhalten, EuInsVO Art. 3 I, High Court of Justice, Urteil vom 19.06.2007 – 1338/2007.

Der High Court of Justice hat diese Entscheidung anlässlich folgendem Sachverhalt getroffen: Der deutscher Schuldner verzog im Oktober 2006 nach London und beantragte drei Monate später am 1. Februar 2007 beim High Court of Justice die Eröffnung einer Verbraucherinsolvenz nach englischem Recht. Vor Abgabe des Insolvenzantrages arbeitete er drei Monate als Angestellter einer Limited für 500 £ monatlich. Vermögen besaß der Schuldner nicht. Seine Schulden betrugen circa 200.000 £ ausschließlich gegenüber deutschen Gläubigern.

Das Gericht eröffnete gemäß Art. 3 Abs. 1 EuInsVO das Insolvenzverfahren. Im Laufe des Verfahrens bezweifelte der englische Insolvenzverwalter (Official Receiver) gegenüber dem Gericht, dass der Schuldner seinen Lebensmittelpunkt überhaupt nicht richtig nach England verlegt hatte und der Wohnsitz in London nur zum Schein bestand. Bei dem Gehalt von 500 £ handele es sich nur um ein Scheingehalt. Das eigentliche Geld erwirtschafte die Limited. Über diesen Trick verschleiere der Schuldner seine wahren Einnahmen.

In seiner Entscheidung hat der High Court zunächst festgestellt, dass die Beurteilung der Zulässigkeit eines Insolvenzverfahrens nach englischem Recht für deutsche Schuldner, die erst kürzlich zugezogen sind, eine wichtige Grundsatzfrage sei, weil die Zahl der deutschen Antragsteller ständig zunehme.

Auf die Aufklärung des Einzelfalls hat der High Court aber verzichtet und von einem Beweisbeschluss abgesehen. Es wurden jedoch wichtige Grundsatzentscheidungen getroffen. Darin bestätigte der High Court die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens in England und zitierte hierzu zwei Entscheidungen, die von keiner Partei benannt waren (was darauf hindeutet, dass sich der High Court intensiv mit diesem Fall auseinander gesetzt hat).

Mit Bezug auf das Urteil im Fall «Shierson v. Vlieland-Boddy» ([2004] EWHC 2752 (Ch)) und EUGH (EuGH, Urteil vom 17.01.2006 – C-1/04, NZI 2006, 153) stellte der High Court im Ergebnis fest, dass weder aus Art. 3 Abs. 1 EuInsVO noch aus dem Erwägungsgrund 13 der EuInsVO etwas dagegen spreche, wenn ein deutscher Schuldner seinen Lebensmittelpunkt von Zeit zu Zeit zu ändert und beispielsweise nach England umzuzieht.

Nur weil der Schuldner einmal seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland hatte, muss dies nicht für alle Zeit so bleiben. Vielmehr ist er frei, den Lebensmittelpunkt jederzeit zu ändern und nach England umzuziehen. Die Entscheidung, wo sich sein Lebensmittelpunkt befindet, richtet sich ausschließlich nach den Tatsachen und nicht danach, aus welchem Land die Schulden stammen.

Der High Court hat außerdem entschieden, dass er die Verlagerung des Lebensmittelpunktes und wirksame Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach englischem Recht selbst dann akzeptiert, wenn der Schuldner nur vorübergehend in England wohnt.

Einen Mindestzeitraum, wie lange ein Schuldner in einem anderen Land verbringen muss, um dort seinen Lebensmittelpunkt zu bestimmen, gibt es nicht. Ebenso spielt es unerheblich, wenn ausschließlich um deutsche Gläubiger beteiligt sind.

Auch die Frage, welche Mittel das englische Insolvenzrecht für den Official Receiver bereit hält, um den Lebensmittelpunkt aufzuklären, hat der High Court in dieser Entscheidung nicht geklärt.