Delisting von Aktien in der Insolvenz?

Insolvenz ist ein harter Schlag für eine Aktiengesellschaft und ihre Aktionäre. Doch es gibt in dieser schwierigen Situation keinen Sonderweg heraus aus der Börsennotierung. Insbesondere gibt es keine insolvenzrechtliche Vorschrift, welche bei der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens eine Aktiengesellschaft aus dem Börsenhandel nimmt.

Vielmehr bestehen die üblichen Vorschriften fort: Eine Aktiengesellschaft kann von Amts wegen delistet werden, wenn sie das Börsenrecht missachtet oder wenn der Börsenhandel der Aktiengesellschaft unmöglich geworden ist. Oder die Aktiengesellschaft kauft alle Aktien und stellt danach bei der Aufsichtsbehörde einen Antrag auf Delisting. In der Insolvenz gibt es also keine Abkürzung oder Hintertür für das Delisting.

Entscheidung des VGH Kassel: Insolvente Aktiengesellschaften dürfen nicht automatisch delistet werden.

Delisting einer Aktiengesellschaft von Amts wegen

Die Aufsichtsbehörde delistet eine Aktiengesellschaft gemäß § 43 Abs. 1 BörsG von Amts wegen:

  • wenn der Emittent die gesetzlichen Pflichten nach dem BörsG krass missachtet
  • oder der Börsenhandel dauerhaft unmöglich ist.

Das Delisting geschieht automatisch, das heißt von Amts wegen und ohne Zutun des Unternehmens. Die Gründe für das Delisting im Einzelnen:

Emittent missachtet die gesetzlichen Pflichten

Ein möglicher Grund für den gesetzlichen Widerruf der Zulassung eines Emittenten besteht darin, dass dieser seine Pflichten nicht erfüllt. Die Nichterfüllung dieser Pflichten kann nicht automatisch aufgrund einer Insolvenz angenommen werden. Denn gemäß § 43 Abs. 1 BörsG muss der Insolvenzverwalter die Gesellschaft bei der Erfüllung ihrer Pflichten unterstützen und ihr die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen.

Wenn also der Insolvenzverwalter die Pflicht hat, die Aktiengesellschaft zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Emittentenpflichten zu unterstützen, dann deshalb, um den Börsenhandel während Insolvenz fortzusetzen. Der Gesetzgeber geht also davon aus, dass ein Insolvenzverfahren nicht automatisch zur Missachtung der gesetzlichen Pflichten führt.

Gleiches gilt für die auf die Sanierung des Unternehmens ausgerichteten speziellen Insolvenzverfahren wie die Insolvenz in Eigenverwaltung oder Schutzschirmverfahren sowie für das vorinsolvenzliche Restrukturierungsverfahren. Anstelle des Insolvenzverwalters muss hier das eigenverwaltende Unternehmen die finanziellen Mittel für die Erfüllung der Zulassungsfolgepflichten bereitstellen.

Im Gegensatz zu einem regulären Insolvenzverfahren kann die Aktiengesellschaft in der Eigenverwaltung nicht argumentieren, sie sei vermögenslos. Denn Massearmut würde das Ende der Eigenverwaltung bedeuten.

Börsenhandel ist dauerhaft ausgesetzt

Gemäß § 39 Abs. 1 des Börsengesetzes ist es möglich, die Notierung an der Börse widerrufen, wenn ein ordnungsgemäßer Börsenhandel langfristig nicht mehr möglich ist und die Geschäftsführung der Börse den Handel bereits eingestellt hat.

Aber auch diese Regel hilft nicht, eine Aktiengesellschaft in der Insolvenz zu delisten. Während einer Insolvenz kann die Börsennotierung jedenfalls aufrechterhalten werden. Gemäß § 43 Abs. 1 BörsG ist der Insolvenzverwalter bzw. die eigenverwaltende Schuldnerin ja gerade dazu verpflichtet ist, der Gesellschaft die Mittel für die Fortführung der Börsennotierung zur Verfügung zu stellen.

Im Falle des Praktiker-Baumarktes entlistete die Aufsichtsbehörde die Gesellschaft mit der Begründung, dass in der Insolvenz kein Vorstand mehr vorhanden sei. Aber diese Entscheidung ist umstritten.

Die Praxis der Börsen im Umgang mit insolventen Unternehmen sieht vor, dass sie den Handel nicht bereits bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens einstellen. Stattdessen warten sie darauf, dass das Insolvenzgericht die Vermögenslosigkeit der Gesellschaft feststellt.

Erst dann erfolgt das Delisting. Deswegen sind börsennotierte Aktiengesellschaften trotz Insolvenzverfahrens noch lange auf den Kurszetteln notiert. Ein Beispiel hierfür sind die Aktien der Air Berlin PLC, welche trotz Insolvenz im Jahr 2017 weiterhin gelistet sind.

Aktuelle Regeln über Delisting in der Insolvenz sind sanierungsfeindlich

Ein Insolvenzverfahren, sei es ein Schutzschirm oder eine Insolenz in Eigenverwaltung oder eine vorinsolvenzliche Restrukturierung, führt nicht zu einem Delisting von Amts wegen. Sondern die Aktiengesellschaft kann sich in der Sanierung so wie üblich nur dann delisten, nachdem sie 100 % aller Aktien erworben hat und anschließend das Delisting beantragt.

Der Gesetzgeber wollte im Lichte des Anlegerschutzes offensichtlich ausschließen, dass die Aktiengesellschaft das Sanierungs- und Insolvenzrecht missbraucht, um sich möglichst leicht und einfach zu delisten.

Aber diese Regelung ist nach der hier vertretenen Auffassung falsch, weil damit eine Sanierung der insolventen Aktiengesellschaft mit einem Insolvenzplan in der Eigenverwaltung, Schutzschirm oder Restrukturierung nahezu unmöglich ist. Fresh Money wird es erfahrungsgemäß im Sanierungsfall immer nur dann geben, wenn die Eigentumsverhältnisse an der Gesellschaft geklärt und vor allem nicht verwässert sind. Verhindert der Gesetzgeber das Delisting in der Insolvenz, gibt es kein frisches Geld und kein neuer Gesellschafter steigt ein. Die Vorschriften über das Delisting sind also sanierungsfeindlich.

Umwege der strengen Vorschriften über das Delisting

Natürlich will der Leser nun wissen, wie man diese dogmatischen Vorschriften zum Delisting einer Aktiengesellschaft in der Insolvenz legal umgehen kann. Kurz angedeutet: Dies geht über die übertragende Sanierung, indem der Investor die werthaltigen Assets aus der insolventen Aktiengesellschaft herauskauft.

Die alte Hülle mit den Emittentenpflichten verwaltet man bis in alle Ewigkeit bzw. bis die insolvente Aktiengesellschaft vermögenslos ist. Der Investor übernimmt gezielt nur das, was werthaltig und zukunftsweisend ist. Parallel dazu sollte die Aktiengesellschaft den Aufkauf aller Aktien versuchen. Vielleicht macht das laufende Insolvenzverfahren die Aktionäre einsichtig, ihre Aktien für einen Preis nahe Null abzugeben.

Die Transformation der alten Aktiengesellschaft in ein neues Unternehmen sollte jedenfalls in der Eigenverwaltung geschehen und nicht in einem regulären Insolvenzverfahren, um die Kontrolle über den Sanierungsprozess zu behalten.

Rechtsanwalt Jörg Franzke ist Anwalt für Insolvenzrecht

Rechtsanwalt Jörg Franzke Berlin
Anwalt für Insolvenzrecht, Spezialist für:

  • Unternehmenssanierung
  • Eigenverwaltung, Schutzschirm, Restrukturierung
  • 1-jährige Planinsolvenz für Privatpersonen

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